Kolloquium Wintersemester 14/15

Kunstvolle Praxis
Interkulturelle und ungleichheitsanalytische Perspektiven auf Routine und Kreativität

Praktiken fordern zu ihrer Ausführung heraus, schränken damit aber auch den Horizont von Vollzugsmöglichkeiten ein. Sie setzen voraus, dass sie am Laufen gehalten werden und sich wiederholend vollziehen. Dabei wird nicht jedes Miteinander-Tun zur sozialen Praktik und nicht jede Person verfügt über das praktische Wissen und Können, um sich in Praktiken »einzuklinken«. Zugleich ist Praktiken durch ihre »Doppelbödigkeit« von wiederholender Routine und kreativer Innovation auch immer das Potenzial zu Umschiffung
umkämpfter Terrains inne: Spielräume im Alltag werden ausgelotet, neue Pfade entdeckt oder Handlungskontexte umarrangiert.
Dieses spannungsvolle Verhältnis von Routine und Kreativität stellt in empirischer wie theoretischer Hinsicht eine Herausforderung dar. Häufig wird das Verhältnis aus wissenschaftlicher Sicht vor allem im Hinblick auf künstlerische wie kreative Produktionsprozesse thematisiert, aber auch »kunstvolle« Praxen außerhalb des Kunstfeldes kommen in den Blick.

Im Rahmen der Vortragsreihe »Kunstvolle Praxis« wollen wir das spannungsvolle Verhältnis von Routine und Kreativität aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und Möglichkeiten für komparative Analysen eröffnen. Dabei werden kunstvolle Praktiken – vom Programmieren bis zum Nüsseknacken – ebenso empirisch ausgeleuchtet wie theoretische Räume zur Kreativität der Kritik oder zur Bedeutungvon Übersetzungen bei der Hervorbringung von Bewegungswissen ausgelotet.

Mittwoch, 22. Oktober 2014 – 17:45
Rainer Winter
Alpen-Adria Universität Klagenfurt/Wien/Graz


Kreativität, Widerstand und die Emergenz des Politischen. Über den Eigensinn von Praktiken Ausgehend von den Cultural Studies wird untersucht, wie Kreativität und Eigensinn in kulturellen und sozialen Praktiken entstehen. In diesem Zusammenhang spielen die Arbeiten von Michel Foucault zu Macht und Widerstand eine zentrale Rolle. In seiner Lesart nehmen die Formen des Widerstandes heterogene Gestalten an, ereignen sich kontextuell, sobald eine Macht erscheint. Dabei richtet sich ein kritischer Widerstand gegen
Strukturen der Herrschaft. In Auseinandersetzung mit dem Werk von Jacques Rancière wird dann gezeigt, wie sich in diesen Prozessen der Raum des Politischen eröffnet. Die Occupy-Bewegungist hierfür ein wichtiges Beispiel.


Mittwoch, 05. November 2014 – 17:45

Thomas Widlok
| Universität zu Köln

Kreativität und Routine. Anfragen an eine selbstverständliche Unterscheidung aus der Sicht der
Kulturanthropologie Afrikas. Die Unterscheidung zwischen Kreativität und Routine wird durch
die Ethnographie anderer kultureller Lebenswelten in Frage gestellt: Erst als Ethnograph bei Jägern und Sammlern wird uns
oft bewußt, wieviel schöpferische Lösungsstrategien selbst in Alltagsroutinen, wie etwa dem Nüsseknacken, oder dem Herstellen von Werkzeugen enthalten sind. Entsprechend gibt es für dies scheinbar »einfachen« Kulturtechniken sehr unterschiedliche Erklärungen. Manchmal wird die verkörperlichte Virtuosität in den Mittelpunkt gerückt, manchmal die technologische Komplexität der Routinen. Im anthropologischen Vergleich stellt sich die Frage, ob die menschliche Kreativität zunehmend von technologischer Routine verschüttet wird oder ob wir es mit einer immer stärker wachsenden Kreativ-Gesellschaft zu tun haben. Zur Beantwortung lenke ich die Aufmerksamkeit auf zwei ethnographische Beobachtungen: die Häufigkeit von gescheiterten Innovationen und die Besonderheiten der sozialen Kooperation.


Mittwoch, 19. November 2014 – 17:45
Gabriele Klein
|Universität Hamburg

Kunstvolle Praktiken. Kulturelle und ästhetische Übersetzungen von Alltagsroutinen im Tanztheater Wuppertal Pina Bausch.
Das Tanztheater Wuppertal ist weltweit dafür bekannt und die Choreografin Pina Bausch vielfach dafür ausgezeichnet worden, neue Praktiken und Ästhetiken in den Tanz und darüber hinaus in andere Künste eingeführt zu haben. Ihre Choreografien speisen sich aus den Beobachtungen des Alltags, aus Wahrnehmungen und Erfahrungen der Tänzer_innen, die diese auf vielen Forschungsreisen in
verschiedene Länder und Kulturen gesammelt und in ihren Stücken – hier vor allem den internationalen Koproduktionen – verarbeitet haben. Der Vortrag stellt die Praktiken und Routinen des künstlerischen Arbeitsprozesses des seit 40 Jahren existierenden
Tanztheaters vor und reflektiert an diesem Beispiel das Konzept der kulturellen und ästhetischen Übersetzung. Der Vortrag beruht auf Forschungsergebnissen, die im Rahmen des DFG-Projektes »Gesten des Tanzes – Tanz als Geste. Kulturelle und ästhetische Übersetzungen im Tanztheater Wuppertal« gewonnen wurden.


Mittwoch, 10. Dezember 2014 – 17:45

Hannes Krämer
Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder

Die Routinen des Kreativen – was sich aus der Analyse kreativer Arbeit lernen lässt (und was nicht) Wie kommt Neues in die Welt? Wie produzieren Akteure kreative Produkte? Und was lässt sich darüber anhand der Analyse künstlerisch-kreativer Arbeit aussagen? Anhand ethnografischer Daten wird dargestellt wie die »allmähliche Verfertigung« kreativer, symbolischer Güter in der Ökonomie vollzogen wird. Dabei interessiert weniger der Mythos kreativer Schöpfung, sondern die »hemdsärmelige« Alltagspraxis der Kreativarbeiter_innen. Mit dieser Perspektive wird deutlich, dass der Prozess der Invention maßgeblich auf Routinen angewiesen ist und dass gerade darin eine maßgebliche Dimension »kunstvoller Praxis« liegt.

Mittwoch, 14. Januar 2015 – 17:45
ORT: Raum 235 (Seminar-/Theaterraum), Block B – 2.OG,
Gebäude 216 HF

Monica van der Haagen-Wulff
| Universität zu Köln

Dancing the in-between:
reflections on the (im)-possibilities of embodied academia Poststructuralist writers such as Kristeva, Iragaray, Barthes, Derrida and Deleuze and postcolonial theorist Homi Bhabha among others, advocate a return to a theory of the ‘banished
body’ that first began to retreat with Plato before vanishing without trace under Descartes. This hysterical, temporally displaced, naïve, unpredictable, sexual body in the shape of woman and the colonized other, most conspicuously absent during modernity and the Empire, is now, with the help of cultural studies and postcolonial theory, forcing its way back into the ivory tower of academia. New ways
of writing that include the body, the senses, indigenous or previously discounted knowledge’s are forcing the gates open and demanding a voice. In this liminal space between artistic practice and academic theory the established cultural signs are dislodged and rearranged, re-inscribed by their juxtaposition against one another and thus allowing new interpretations and knowledges to emerge. Performance and the re-enactment of history, weather in actual performance or in writing performatively, is a way of engaging an audience in an ethical, embodied way with history.


Mittwoch, 28. Januar 2015 – 17:45

Diana Lengersdorf
| Universität zu Köln

Im Rahmen bleiben. Über das kreative und routinisierte Ziehen von Grenzen

Grenzen ziehen wir ständig in unserem Alltag: Zwischen Frau und Mann, zwischen Gebildet und Ungebildet, Arm und Reich oder zwischen Eigen und Fremd. Wo wir diese Grenzen ziehen, vor allem aber wo wir sie legitimerweise ziehen dürfen und was wir mit dieser Grenzziehung ein- und ausschließen ist eine komplizierte soziale Frage. Noch komplizierter ist die Frage, wie wir Grenzziehungen im Alltag vornehmen. Eine Antwort ist, dass dies mit sozialen Praktiken geschieht.Praktiken, die uns durch ihre Routinen entlasten, uns aber zugleich auch immer wieder zur Kreativität auffordern. Der Vortrag fokussiert drei ganz verschiedene soziale Bereiche und die sich hier vollziehenden Grenzziehungspraktiken: Wirtschaftsunternehmen, Elternpaare und Museen.